Susanne Stiegeler

„Rest in pieces“ – Reliquienkunst im sakralen Raum

Susanne Stiegeler, Mitglied der Nürnberger KREIS-Galerie, stellt in der Egidienkirche aus

Einer der ältesten Kirchenorte Nürnbergs, die Egidienkirche im Sebalder Stadtviertel, wird zum Ausstellungsraum für außergewöhnliche Kunst. Betritt man die imposante Barockkirche verschmelzen die Exponante von Susanne Stiegeler mit dem Innenraum der Kulturkirche, wie sie Pfarrer Thomas Zeitler stolz vorstellt. Sie hat ihre „Wunderkammern“ integrativ und intuitiv im Altarraum angebracht, sodass sie sich dem Betrachter bisweilen erst auf den zweiten Blick offenbaren. Der Grund dafür ist, dass Stiegelers Werke mit ihrem Dekonstruktionscharakter in einem ambivalenten Spannungsfeld zu sehen sind: Traditionell überhöhte Elemente der katholischen Reliquienverehrung paaren sich mit ironisierenden Stilbrüchen – dazu in einer protestantischen Kirche, die den Kunstwerken hinter Glas den notwendigen schlichten Raum für eine faszinierende Wirkung lässt. Das große Herz, das vor einem filigranen Teppich aus präzise gesetzten Perlen, bunten Glassteinen und schillernden Goldfäden sphärisch zu schweben scheint und gleichzeitig auf dem zentralen Altar das „Herzstück“ der Ausstellung ist. Einen weiteren Blickfang bilden die aufwendig gestalteten Gebeine des Heiligen Hippolyt, der wie ein wohlgehüteter Schatz am Ende des Chorraums eingebettet wurde. Im rechten Teil des Querschiffs begegnet man der Heiligen Eulalia, die ihre Skeletthand schützend über ein fast frech dreinschauendes Hermelin hält. Hier sind die aufwendigen Verzierungen und die Beleuchtung der Knochen so geschickt angebracht, dass die Figur in einer warmen Lebendigkeit und eleganten Ästhetik erstrahlt. Dabei vergisst man beinahe, dass man vor toten Gebeinen steht, deren Herkunft und Echtheit die Künstlerin bewusst offenlässt: „Es ist ja auch im traditionellen Reliquienkult nicht klar, ob es sich um ein Stück eines Heiligen handelt oder nicht.“

Diesen individuellen Interpretationsspielraum beschreibt auch Dr. Marian Wild in seinen einführenden Worten zur Ausstellung mit dem so treffenden Titel „Rest in pieces“: Es sei eine Grenzüberschreitung bei der künstlerischen Auseinandersetzung mit einem traditionell behafteten Thema, bei der das Alltägliche zum Besonderen, Überhöhten werde. Wild erwähnt auch in diesem Kontext den viel unbefangeneren Umgang der Portugiesen mit der Totentradition, den die Künstlerin aus ihrer Kindheit noch in Erinnerung habe. In dieser vermeintlichen Leichtigkeit bespielt Susanne Stiegeler die Kirche mit ihren starken, farbenprächtigen Werken und gibt damit ihren persönlichen Reliquien eine letzte Ruhestätte in einem sakralen Rahmen: „Rest in pieces!“

Stefanie Ulrich

 Die Ausstellung in der Egidienkirche dauert noch bis zum 19. November 2022. Täglich von 9 – 17 Uhr.

 

Susanne Stiegeler – I believe I can die

Eröffnung: 26. Juni 2019, 19:30 Uhr

Einführung: Lukas Thüring

Ausstellung: 27. Juni bis 27. Juli 2019

Susanne Stiegeler setzt sich mit jenen Seiten des Lebens auseinander, die in unserer Kultur häufig als verstörend oder beängstigend empfunden werden: Krankheit, Tod, Vergänglichkeit. In ihren Objekten und Zeichnungen verbinden sich Ernsthaftigkeit und Schwere mit Leichtigkeit und Ironie. Es offenbaren sich das absurd-komische Streben nach Wundern und das Hoffen auf Unsterblichkeit. »Ich weiß, dass alle Menschen sterben müssen – vielleicht sogar ich.« Karl Valentin

Die Arbeiten der Künstlerin wurzeln in ihrer portugiesischen Kindheit, ihre Mutter ist Portugiesin, ihre ersten Jahre lebte Stiegeler in Portugal. Die Kirchen und Rituale dort, auch der Totenkult, prägten sie früh. Ihre „Haltung zur katholischen Kirche ist dabei nicht eindeutig“ wie sie sagt, doch spricht aus der liebevollen Gestaltung ihrer Reliquienobjekte vielmehr Zuneigung als Kritik oder Ablehnung. Da finden sich Finger, ein Ohr, ein Busen, ein Zopf, … in Gold gerahmt, und in geduldiger Feinarbeit verziert, mit Borten und Steinen dekoriert, und verglast. Aber es gehe ihr nicht um Kirche, sondern vielmehr um Magie. Um ein Ritual der Erinnerung, um die Ausstrahlung, die Dinge an bestimmten Orten entfalten. Portugiesisch sei auch das Spiel mit „Wertvoll – nicht wertvoll“. Ist es Gold oder Farbe? Edelsteine oder Plastik? Wertvoll ist hier nicht das Material sondern die Wirkung.

Bei der Gestaltung der Ausstellung hat sich die Künstlerin an der vertikalen Dreigliederung einer Kirche orientiert, mit Krypta, Heiligtum und den Heiligen. In der KREIS Galerie sind es die Krankheiten in Form von Monstern im Untergeschoss, die Reliquien im Mittelteil und die heiligen Freunde auf der Empore. Eines der Monster ist allerdings heraufgekommen: Die Tuschzeichnung „Paranoia“ hat Stiegeler als verbindendes Element für diese Ausstellung erstmals im monumentalen Format auf die Wand gebracht. Es sei die Angst, die all dem innewohne. Doch bei all diesen schweren Themen, bei so viel Krankheit, Angst und Tod, schwingt dennoch etwas Leichtes und Humorvolles mit. Diese Ambivalenz macht Stiegelers Arbeiten höchst sehenswert!

Krankheitsbedingt war Susanne Stiegeler stark auf die Hilfe der KREiS Galerie und vieler Freunde angewiesen, die die Ausstellung nach ihren Plänen realisiert haben. Wir, der KREIS und die Künstlerin, freuen uns nun sehr, dass dies gelingen konnte.

Achim Weinberg

 

Zu den „Wunderkammern“ von Susanne Stiegeler (* 1979)

Reliquien werden vom aufgeklärten Ungläubigen milde belächelt. Die Aufbahrung und Anbetung alter Körperteile oder –flüssigkeiten hat ihre magische Faszination verloren, wirkt archaisch verstörend und erregt gar Ekel. Im Lutherjahr erinnern wir uns an die Überwindung des Reliquienglaubens durch Luthers Zusage der Gnade Gottes rein „sola fide“ (durch den Glauben). Die Sehnsucht nach der Überwindung des Todes ist jedoch nicht verschwunden.

Baut sich der moderne Mensch doch lieber einen narzisstischen Tempel der Selbstoffenbarung und -optimierung. Auch dies dient jedoch dem Kampf gegen die Vergänglichkeit. Auch dies geht nicht ohne die magische Beschwörung von Gegenständen: Kettenschlösser an Brücken für den ewigen Erhalt der Liebe, Talismane für die Abwendung des Unheils, Messgeräte am und im Körper für die Perfektionierung ewiger jugendlicher Leistungskraft, die digitale Selbstdarstellung zur Sichtbarwerdung dauernder eigener Präsenz und damit ewiger Schönheit.

Die Hingabe an diese zum Teil aufwändig erstellten Gegenstände schreibt ihnen eine Bedeutung zu, die der rationale Betrachter als „Hokuspokus“ abtun könnte.
Dieser Begriff entstammt vermutlich einer Verkürzung der Formel „Hoc es enim corpus meum“ bei der Wandlung während der Heiligen Messe („Dies ist mein Leib“ usw.) aus Unverständnis der nicht Lateinkundigen oder auch parodistischen Motiven. Es treffen sich das tiefe Erstaunen vor der Magie der Dinge (in diesem Fall der sich in den Leib Christi verwandelnden Oblate) und der Zweifel des modernen Menschen im Angesicht des Rituals.
All dies lässt die Künstlerin mit ihren „Wunderkammern“ lebendig werden: in der Thematik der Bekämpfung von Vergänglichkeit und Tod, den ewigen Widersachern menschlichen Seins und Strebens; im Glauben an die Wirkmächtigkeit magisch aufgeladener Gegenstände; in der Wiederbelebung des Rituals durch die aufwändige, kleinstteilige Konservierung gefundener Gegenstände, nicht jedoch ohne ironische Distanz. Stiegeler verwendet nicht nur echte organische Materialien, wie sie die katholische Kirche jahrhundertelang herbeigeschafft hat, um die Bindung der Gläubigen an das Wunder zu bewerkstelligen. Sie lässt auch Materialien vom Flohmarkt oder aus Plastik weiterleben und verleiht damit an sich unbedeutenden Gegenständen ein Recht auf Existenz und die Fähigkeit zur magischen Wirkung. Welche Gegenstände dies außerdem sein können, beschreibt die Künstlerin so: Der Luftzug des letzten Wimpernschlag eines Verflossenen, das echte Plastikherz des namenlosen Büßers, ein abgeschlagenes Ohr des Lauschers an der Wand, der wundertätige Kieferknochen des irrsinnigen Rentiers, Haare ewig gestriger Freunde, die blutige Träne aus dem berühmten Knopfloch…“.
Die geistlichen Reliquien hatten immer eine körperliche Verbindung zu einem Heilig gesprochenen Wunderwirker. Die Sehnsucht nach der Magie zur Beherrschung des Todes ist bei Stiegeler stark vorhanden. Aber ihre Wundersammlung ist bei aller Rückbezüglichkeit zum Sakralen, zur regelrecht goldschwülstigen Inszenierung eben distanziert, weil sie noch obskurer ist: nämlich im zu entdeckenden Detail dichter am Alltag und zugleich bizarr, leicht und filigran und dennoch verwunschen. Der Betrachter erkennt die Parabel auf die Reliquie und kann sich dennoch mitten im Jahr 2017 in eine Welt des Wunders hineinsehnen.

Dr. Daniela Schwardt